Eigentlich rühmen wir uns ja immer damit, dass wir unseren Campteilnehmern die etwas ruhigeren Ecken der Bikewelt zeigen, die gerade nicht in allen Magazinen in den Himmel gehypt werden. Was zum Geier wollen wir dann in Südtirol?Ja, es stimmt, Südtirol ist ein Bike-Hotspot! Seit Jahrzehnten wird es – neben der Schweiz – als das heilige Land der Trails bezeichnet. Über den Brenner ist es nicht weit für deutsche Biker und Reviere wie Latsch im Vinschgau wurden durch massive Bewerbung, unzählige Events und teilweise rücksichtslose Vermarktung beinahe zu Tode „geshreddet“. Wie Wanderheuschrecken sind die Radler in das Gebiet eingefallen, und vormals moosige Traumwegerl wurden in nur wenigen Jahren zur Rumpelpiste – Sperrungen und zeitlich begrenztes Shutteln sind die Folge. Macht ja nichts, zieht die Karawane eben weiter (nach Molveno? – neues Bike-Mekka). Zurück bleiben die Locals, die ursprünglich einfach nur biken wollten und nun mit den Auswirkungen des Bike-Massentourismus zu kämpfen haben.
Natürlich, der Vinschgau oder auch der Gardasee (allerdings im Trentino) sind Extrembeispiele, zeigen aber, wie schlecht geplante Hysterie um ein Gebiet, diesem teilweise schaden kann. Zum Glück ist Südtirol aber groß, und genau das ist der Grund warum es uns – mittlerweile seit Jahrzehnten – immer wieder hierher zieht. Es gibt so viele Täler, in die noch sehr wenige Biker ihre Reifen gesetzt haben, so viele andere Gebiete, die nicht gerade Hip sind und von denen niemand schreibt: „Da musst du hin!“. Und genau in so ein Gebiet hat es uns diesmal wieder verschlagen.
Wir befinden uns im Ahrntal, wo uns das Hotel Innerhofer die perfekte Ausgangsbasis für unsere Touren bietet. Die Chefinnen des Hauses sind selbst Guides und kenne jede Ecke; perfekt für Tipps, wenn einmal eine von uns geplante Variante nicht ganz optimal für alle TeilnehmerInnen ist. Angrenzend haben wir gleich das Pustertal, wo vor allem der Kronplatz mit seinen gebauten Trails versucht Biker anzulocken. Immer mehr Skigebiete wittern das Geschäft mit den Bikern. Vor einigen Jahren hörte ich einen Vortrag des Geschäftsführers des Kronplatz: „Wir haben im Sommer gleich viele Nächtigungen wie im Winter, wir müssen die Leute nur auf den Berg bekommen.“ Dass sich der Kronplatz zum Outdoor-Entertainment Center entwickelt offenbart sich spätestens am „Gipfel“ – ich habe selten einen verbauteren, hässlicheren Berg gesehen. Wir können nur abermals appelieren sachte mit der Natur umzugehen, Mountainbiker brauchen weniger als viele Touristiker glauben, und vor allem in Südtirol ist davon genug vorhanden: Wanderwege.
Tag 1: Regnerisch und kalt
Vonwegen! Zwar ist die Luft schwanger mit Feuchtigkeit und der Nebel bis Mittag unser ständiger Begleiter, wir bleiben aber bis wir auf der Hotelterrasse eintreffen trocken. Zumindest von außen, denn obwohl wir ein wenig abkürzen, ist die 400 Höhenmeter Schiebestrecke nicht von schlechten Eltern. Bis heute wundere ich mich darüber, dass mich keiner der Teilnehmer umgebracht hat. Dafür wartet oben eine unglaubliche Aussicht in die Dolomiten im Süden, und die Zillertaler Gletscherwelt im Norden. Und dann dieser Trail! Ein mit Schieferplatten gepflasterter Weg, gemacht für die Ewigkeit. Unweigerlich kommern Erinnerungen an Schottland hoch, wo sehr viele Steige ebenfalls so „gatschsicher“ geamacht worden sind. Nach der Jause geht es nochmal ein paar Höhenmeter rauf um final einen vielseitigen Waldtrail mitzunehmen. Maximale Ausbeute würde ich sagen.
Tag 2: Ein steiles Biest
Verantwortungsbewusst und perfektionistisch wie wir nun mal sind, fahren Evi und ich diese Tour an diesem Wochenende zwei Mal: einmal am Samstag mit der Gruppe, und einmal schon am Donnerstag im Sprintmodus. Der gute Guide ist vorbereitet und schaut sich vorher noch einmal alles an damit es keine Überraschungen gibt. Es ist eine vielseitige Tour die wirklich alles bietet, natürlich auch das obligatorische Tragen. Leicht hämisch wurden wir nämlich auch gefragt, ob wir das Camp nicht in „Die schönsten Schiebe- und Tragepassagen Südtirols“ umbenennen wollen ;-).
Highlight des Tages ist aber sicher unser „friendly takeover“ einer Berghütte. Von unserem donnerstäglichen Besuch wissen wir schon, dass die 80 jährige Hüttenwirtin heute alleine heroben sein wird. Als dann 16 BikerInnen und auch noch zwei italienische Familien auftauchen, vermuten wir doch, dass es der lieben Oma zu viel Arbeit wird, und nehmen das Kellnern, Abwaschen und das Kassieren! einfach selbst in die Hand. Evis Traum, einen Tag Hüttenwirtin, geht in Erfüllung – man darf nur nicht schüchtern sein 🙂
Tag 3: Touriroute – leider…
Eigentlich sollte diese Tour das Highlight des Wochenendes werden. Wir wechseln die Talseite und sind mitten drin in den bleichen Bergen. Diese Tour ist eine unserer absoluten Lieblinge und, wann immer wir in der Gegend sind, nehmen wir das „Luder“ in Angriff, auf verschiedenste Varianten. Luder, weil auch dieser Trail erkämpft werden will. Am Kronplatz, den wir einfach mal mitnehmen, ist noch alles easy. Am Schlussanstieg schieben einige aus der Gruppe aber satte 700 Höhenmeter! Die ganz fitten fahren, bis zum letzten Anstieg alles durch. Das Panorama entschädigt uns aber für alle Mühen, der Seekofel, der Blick in die Fanesgruppe und die trostlos wirkende Szenerie sind etwas besonderes. Unten wartet noch ein weiteres Highlight, der Pragser Wildsee. Zunächst queren wir aber den Hang nach Südosten, die Bergflanken türmen sich immer höher über uns auf, bis wir in einen Dolomitencanyon eintauchen. Auch die Wegbeschaffenheit ist heute anders als die Tage davor – Dolomitenschotter. Für Könner eine Einladung zum Surfen, für Neulinge… gewöhnungsbedürftig. Aber auch dazu sind wir da, um die persönliche Komfortzone zu verlassen und neues zu erleben. Wir zwei Guides stehen natürlich immer mit Rat und Tat zur Seite – der kleinen Gruppengröße sei Dank.
Am Ende des Trails cruisen wir über eine saftig grüne Almwiese, freudestrahlend, in Erwartung einer Abkühlung im See. Und da warten sie auch schon: ein deutsches Wandererpärchen: „Sehen sie das Schild da?!“ Tatsächlich, mitten auf der jetzt drei Meter breiten Schotterstraße steht ein Fahrverbotsschild für Radfahrer, das es die letzten zwölf Jahre nicht gegeben hat. Ich entschuldige mich freundlich und erkläre, dass wir gerade 500 Höhenmeter abgefahren sind und einfach langsam runter rollen, bis wir auf die Hauptstraße treffen. „Sie dürfen hier nicht fahren!“. Wieder versuche ich zu vermitteln, dass es keinen anderen Weg gibt und wir einfach nur aus diesesm Tal raus wollen. Keine Chance, mit diesen Herrschaften ist nicht zu reden. Was es die überhaupt angeht? – Privatsherrifs der übelsten Sorte. Wortlos rollen wir weiter, füllen an einer Hütte noch unsere Wasservorräte und kommen dann endlich am See an. Der nächste Schock: gefühlte 5000 Touristen tummeln sich an den Ufern und steigen sich beim Kampf um das schönste Selfie beinahe auf die Füße. Ich war jetzt schon oft hier, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Nichts wie weg hier, da wir nun ja wissen, dass wir uns verbotenerweise hier befinden, steigt auch das schlechte Gewissen in uns auf – zumindest in mir. Auch den Abschlusstrail ins Tal lassen wir aufgrund der vielen Wanderer links (bzw. rechts) liegen und brausen auf Asphalt, unter teilweiser Lebensgefahr durch Busse und Autofahrer, hinunter ins Pustertal. Ich persönlich bin sehr froh, als wir endlich den Radweg entlang der Rienza erreichen.
Trotz dieses unschönen Erlebnisses zum Schluss, war das Wochenende ein voller Erfolg. Der erwartete Regen kam über Nacht, die TeilnehmerInnen waren top motiviert und eine tolle Truppe, das Hotel ist sowieso ein Traum. Die Pragser Wildsee Tour werden wir nächstes Jahr wohl oder übel auslassen, aber sie passt, obwohl sie jetzt zehn Jahre lang ein Highlight war, eh nicht so wirklich in unser Konzept: nämlich den Leuten die etwas ruhigeren Ecken der Bikewelt zu zeigen…
Text: Daniel Oberauner
Fotos: Daniel Oberauner, Evi Britzmann, Heidrun Schachner, Erik Moderegger, Michael Musenbrock