„Ich kann leider nicht mitfahren…“. Durch diesen kurzen Satz wurde aus einer geplanten Kumpeltour, die eigentlich als Ersatz für den schon lange nicht mehr gefahrenen Alpencross herhalten sollte, eine abenteuerliche Solomission.Die Idee zu dieser Unternehmung hatte sich schon lange in unseren Gehirnwindungen eingenistet, es muss ungefähr 2007 gewesen sein, als wir das erste Mal davon redeten. Vor allem ich war von dem Plan, die Karnischen Alpen einmal in Längsrichtung anstatt immer nur von Nord nach Süd zu durchqueren sehr angetan. Diese Variante bietet einerseits den Vorteil, bequem mit dem Zug anreisen zu können, und andererseits das gute Gefühl, nach Hause zu fahren. Also, Route genauestens geplant, fahrbare Übergänge recherchiert, mögliche Unterkünfte abgecheckt. Alles klar, und dann das: Jan muss aus beruflichen Gründen absagen. Nachdem wir die Tour schon einmal verschoben haben, entschließe ich mich, es einfach alleine zu versuchen. Ich kenne die Gegend sehr gut, war schon auf den meisten Bergen entlang der Route – ich verwerfe also den ursprünglichen Plan und will einfach so weit fahren wie ich Lust habe. Wenn’s reicht, dann einfach runter ins Gailtal und nach Hause.
Tag 1 – Tag der Pannen
Doch so einfach ist das gar nicht, denn zuerst muss man mal bis ins Gailtal kommen. Falls ich vorher abbreche, sitze ich ohne Zugverbindung im Lesachtal fest. Ach, das schaffe ich schon, auf der Karte sieht’s auch gar nicht weit aus. Vier bis maximal fünf Tage schätze ich anhand der Kilometer und, vor allem, Höhenmeter.
Als Startort habe ich Sillian ausgewählt. Erstens kenne ich den Ort und zweitens startet der Karnische Höhenweg, der 403er, die rote Linie nach der ich die Tour geplant habe hier. Erstmal geht’s gemütlich von Vierschach mit dem Lift nach oben. Die Auffahrt zur Leckfeldalm (oder, wie ich sie nenne, „Leckfettnalm“) habe ich schon genossen und einmal durchgetreten reicht für meinen Leistungsanspruch locker aus. Es ist schön, dass die Bergbahnen in Südtirol nun seit ein paar Jahren fast überall Bikes transportieren, billig ist es aber nicht. Was soll’s, raus aus der Gondel und schnell mal zur Sillianer Hütte auf eine Suppe. Der erste Teil der Route folgt dem Stoneman Trail von Roland Stauder, ist mir also gut bekannt. Danach soll es schwieriger werden, da ich doch erst vor Ort entscheiden kann, ob ich auf dem Wanderweg bleibe, oder doch tiefer unten im Tal eine Forststraße nehme. Der Plan lautet aber eindeutig: so hoch wie möglich!
Ich bin überrascht, wie schnell man alleine vorwärtskommt. Wie gesagt, kenne ich den Stoneman und weiß, was auf mich zukommt. Kein Warten auf andere, weniger Pannen und weniger Pinkelpausen – es hat eindeutig Vorteile, allein unterwegs zu sein. Und dann das. Es ist doch etwas steiler als gedacht, da muss doch noch ein leichterer Gang sein. Kracks! Leider nein, die Kette klemmt erbarmungslos zwischen Ritzelpaket und Nabe. Naja, sowas habe ich schon öfter gelöst. Aber diese Situation belehrt mich eines Besseren. Unerbittlich wehrt sich die Kette gegen meine Versuche, sie aus ihrer beklemmenden Situation zu befreien. Soll das nach einer Stunde etwa schon das Ende meiner Tour sein? Nach ca. 20 Minuten voller Biegen, Hebeln und vor allem Ärgern, schaffe ich es schließlich doch, die Kette wieder in ihre Position zu wuchten. Die Nieten des Ritzelpaketes waren eben diesen einen Millimeter zu lang – mit einer einteiligen SRAM Kassette um 300 Euro wäre mir das nicht passiert ;-).
Eine halbe Stunde später der nächste Knacks. Diesmal aus der Sitzzone. Sattel kaputt? Hatte ich noch nie. Zuerst erkenne ich gar nichts, bei genauerer Betrachtung bemerke ich aber, dass der Sattel schief steht. Ich kontrolliere nochmal die Streben und stelle schließlich fest, dass die Sattelaufnahme der Stütze angebrochen ist. Warum verbauen die da auch Carbon? Notdürftig versuche ich, durch Neupositionierung des Sattels und ein paar Kabelbinder das Schlimmste zu beheben. Ohne Sattel weiterfahren ist die denkbar schlechteste Option. Das alles kostet viel Zeit und es beginnt zu regnen, na klasse…
Die erste Übernachtungsmöglichkeit ist dann doch bald erreicht, da es aber erst ein Uhr nachmittags ist, entschließe ich mich, auch aufgrund des aufziehenden Regens, zur Weiterfahrt. Vor lauter Eile werfe ich nur einen unzurreichenden Blick in die Karte und fahre prompt ein paar Kilometer in die falsche Richtung – und das bergab. Zwar könnte ich auch hier weiter rollen, würde damit aber meine eigene Idee untergraben und zu weit ins Tal kommen, also nochmal zurück – bergauf. Zu meinem Glück läuft ab diesem Zeitpunkt alles glatt. Es geht schnell weiter (auch weil ich einen Trail auslasse, er sieht einfach nicht fahrbar aus) und ich nähere mich der nächsten Alm. Als ich ankomme ist aber weit und breit niemand zu sehen, überhaupt sieht es hier nicht nach Bretteljause und Bier aus. Verdammt, nicht bewirtschaftet. Das selbe Bild bietet sich mir bei der nächsten Hütte, zumindest bekomme ich aber den Hinweis dass die Nachbaralm bewirtschaftet sei und auch Zimmer habe. Die Abfahrt dorthin passt aber so gar nicht in meinen Plan, bedeutet sie doch einen 700 Höhenmeter Anstieg mit langer Tragepassage am nächsten Tag. Leider bleibt mir aufgrund des Hungers, vor allem aber der fortgeschrittenen Uhrzeit, keine andere Wahl, und so verbringe ich die erste Nacht meiner KHW Expedition auf der Malga Melin.
Tag 2 – Kilometerschinden
Nach einem unglaublich reichhaltigen Frühstück bestätigen sich meine Befürchtungen. Schon nach ein paar Kehren heißt es aufgrund der Steilheit absteigen und Schieben beziehungsweise Tragen. Das mittlerweile bessere Wetter und die fantastische Aussicht entschädigen aber für die Anstrengung, und so erreiche ich, nach der recht kurzweiligen Radwanderung, das Biwak Piva und kurze Zeit später die Porzescharte.
Grundlage meiner ursprünglichen Planung war es ja, neben dem Verfolgen des Karnischen Höhenweges, fahrbare Übergänge zu finden. Die Porzescharte war in dieser Hinsicht eine Bank, auf dem 403er gelegen und mir, genauso wie das folgende Tilliacherjoch, noch in guter Erinnerung. Nun aber zum Kilometerschinden: der folgende Abschnitt ist sogar auf der italienischen Karte punktiert und macht meiner Meinung nach sowohl am Grat, als auch auf österreichischer Seite keinen Sinn. Einzige Alternative ist die Strada delle Malghe, die zwar eine gute Aussicht bietet, aber eben eine fade Forststraße ist. Am Ende dieser Etappe habe ich mir als Unterkunft drei Alternativen freigelassen: das Hochweißsteinhaus, das Rifugio Calvi und das Rifugio Sorgente del Piave. Alle drei sind möglich und der Weg dorthin lässt sich auf unterschiedliche Weise gestalten. Bei mir ist es schlussendlich das Rifugio Calvi geworden. Die Lage, Gemütlichkeit, und die Gastfreundschaft der „Plodner“, ausgewanderter Osttiroler, sind einfach unschlagbar.
Tag 3 – unter Bergsteigern
Nach sehr netten Unterhaltungen, erneut gutem Essen und einer relativ angenehmen Nacht im Lager der vollen Hütte, mache ich mich um halb acht auf den Weg nach oben, wieder tragend. Es hat kuschelige vier Grad und eigentlich unterscheide ich mich nur durch mein Gepäck von den anderen Gästen, die mit mir aufbrechen. Während sie ihr Kletterzeug nach oben schleppen, wuchte ich eben mein Bike auf die Schultern. Der kurze Anstieg ist im Vergleich zu den letzten direkt lächerlich, und bald bin ich aufgewärmt. Genau am Pass erreiche ich das Sonnenlicht und starte in die leichteste und flowigste Abfahrt meiner Unternehmung.
Flott geht es das Tal hinaus, bis es bei einer Alm wieder aufschultern heißt. Ungefähr 400 Höhenmeter stehen auf dem Programm, also erfahrungsgemäß zirka eine Stunde. Unterwegs werde ich von zwei Trailrunnern überholt, die mich später auf der Hütte anerkennend begrüßen werden. Überhaupt war jede einzelne Begegnung während dieser Tage freundlich. Nichts zu merken vom „Krieg in den Bergen“ zwischen Wanderern und Mountainbikern, das Interesse und der gegenseitige Respekt überwogen. Klar die meißten Wanderer halten dich für verrückt, aber das bin ich ohnehin schon gewohnt. Oben angekommen bietet sich mir ein schier unglaubliches Panorama. Ich kenne diese Gegend seit meiner Kindheit, sowohl zu Fuß, als auch am Bike, habe mich allerdings noch nie von Westen genähert. Schotterhalden leiten mich in das gewaltige Felsenkino des Wolayertales und eine sehr steile Abfahrt samt verblockter Querung (wieder mal schieben) später befinde ich mich am Ende einer der unangenehmsten Auffahrten die ich bis jetzt kennen lernen durfte. Aber auch die geht vorbei. Am See angekommen heißt es erst mal Abkühlen, bevor ich mir ein Cola-Weizen gönne.
Es mag für meine Tour bessere, angenehmere oder idealere Varianten geben, auch habe ich sicher keine Kilometerrekorde aufgestellt. Für mich war es aber die Erfüllung eines lange ersehnten Vorhabens. Allein unterwegs zu sein bringt einige Vorteile mit sich. Man kommt schneller ins Gespräch, hat mehr Zeit zum Nachdenken und genießen. Der größte Nachteil ist aber, dass man niemanden hat, mit dem man über das Erlebte reflektieren kann. Meine Tour endete kurze Zeit später nach einer meiner Lieblingsabfahrten. Eine Mitfahrgelegenheit war einfach zu verlockend, also entschloss ich mich, es für dieses Mal gut sein zu lassen. Und außerdem muss ich ja noch ein bisschen was für Jan aufheben :-).